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RENNBERICHT |
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Rennbericht Milano - Sanremo 2011
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Bericht Milano - Sanremo 2011 Amateur
Vorhaben & Zielsetzung
Damit die im Frühjahr auf Mallorca abgespulten 1800 km und die unzähligen
schweisstreibenden Stunden im Kraftraum endlich mal zur Anwendung kamen, wurde
eine richtige Herausforderung gesucht. Im Internet bin ich dann auf die Seite
des www.ucsanremo.it gestossen, welcher dieses Rennen Mailand-Sanremo
organisiert. Nach etlichen Recherchen und dem Durchlesen verschiedenster
Erfahrungsberichten stand fest, dieses Rennen ist ein Muss
für jeden Radsportler der das etwas andere "Rennen" sucht. Also habe ich mich
angemeldet. Glücklicherweise konnte ich meinen Kollegen Michel Ritter auch dazu
überzeugen, sich für dieses Erlebnis anzumelden. Als Zielsetzung galt, Sanremo
mit einem Gesamtdurchschnitt von 30km/h zu erreichen, dies bei 295 km und einem
Höhenunterschied von 1800 m. Um dies zu erreichen, war es unser Ziel, bis
mindestens zum Passo Turchino in einem Fahrerfeld unter zu kommen, wo zwischen
35-40km/h gefahren wird. Schnell stand fest, dass ein eigenes Begeleitauto nur
von Vorteil sein kann, sei es um Verpflegung entgegen zu nehmen oder auch aus
materialtechnischer Hinsicht bei Defekten. Bis kurz vor der Abreise gestaltete
sich jedoch die Suche nach einem Fahrer für das
Begleitfahrzeug sehr schwierig, da viele die Auffahrtstage bereits anders
geplant hatten. Ganz unverhofft gelang es jedoch Michel Ritter, seine
langjährige Kollegin Barbara Schweizer für diese verantwortungsvolle Aufgabe zu
gewinnen. An dieser Stelle ist nochmals ein ganz herzliches "Dankeschön" an
Barbara für diesen tollen Einsatz gerichtet!
Anreise Freitag 3.6.2011
Die Anreise nach Milano erfolgte am Freitag 3.6.2011 via Luzern > Gotthard >
Chiasso > Milano staufrei. Wir haben bewusst den Anreisezeitpunkt auf 2 Tage vor
Rennbeginn gelegt, damit wir uns gemütlich anklimatisieren konnten und wir nicht
durch etwaigen Reisestress am Renntag negativ beeinflusst würden.
Bei der Ankunft im Hotel NH Milanofiori stellten wir fest, dass diese Gedanken
sehr viele andere Rennteilnehmer aus aller Welt auch hatten. Auffallend viele
Auto-Nummernschilder der Länder Belgien und Niederlande waren zu sehen. Jedoch
noch mehr aufgefallen waren die auf den Autos befestigten Rennmaschinen sowie
die dazugehörigen "Piloten" - Carbon und HighTech soweit das Auge reicht,
braungebrannte glatt rasierte Sprinterwaden in der Dicke ausgewachsener
Karnickelbäuche. Da schoss mir erstmals der Gedanke durch den Kopf "Bist Du hier
wohl wirklich richtig....was hast du nur gemacht...."?
Kurze Zeit nach dem Einchecken hat Michel Ritter, infolge seiner bereits
gesammelten Rennerfahrung, die für Ihn wichtigsten offenen Punkte/Abklärungen
erledigt haben wollen > Ort Startnummernausgabe, Ort Start, Ort Frühstück vor
dem Rennen etc. Nach Abklärung dieser Punkte begaben wir uns mit unserer
Begleitwagenfahrerin Barbara in das nahe gelegene riesige Einkaufcenter. Trotz
der zahlreichen Schuhläden verliessen wir dieses Einkaufscenter nur mit 24 Liter
Mineralwasser um unsere Bidons zu füllen. Bei einem anschliessenden Einrollen
inspizierten wir die ersten 10 km der Rennstrecke bei sehr schwülen
Temperaturen. Ich hatte sehr Mühe richtig Luft zu bekommen (dies auf nur 10
km!!!)...da waren Sie wieder meine Gedanken "..wie willst Du bloss diese 295 km
schaffen wenn Du schon nach 10 km fast keine Luft mehr hast"? Am Abend dann
ging’s ins nahe gelegene Restaurant im Areal des Kinos. Bei einem Glas Wein und
viel Pasta wurde vorwiegend über das Rennen gesprochen. So gegen 22.30 war dann
Bettruhe angesagt, leider hatte ich diese Nacht sehr wenig Schlaf gefunden, zu
oft kreisten meine Gedanken um das Rennen herum.
Samstag 4.6.2011
Nach einem ausgiebigen Frühstück in einem mit Radsportlern völlig überfülltem
Frühstücksraum, ging’s so gegen 09.30 Uhr zur Startnummernausgabe, welche direkt
im Nebentrakt des Hotels statt fand. Davor bildeten sich teilweise im Regen
schon lange Schlangen von Radlern, welche je nach Ihrer zugeordneten Startnummer
(welche zuvor an aufgemachten Blättern abgelesen werden musste), sich in die
entsprechende Schlange stellen mussten. Lustigerweise führten dann diese
getrennten Schlangen zu ein und der selben Eingangstüre, wo ein Mitglied des
UCSANREMO die Radler zum Einlass selektierte...Stichwort "Organisation Italia"...:-))
Nach mühsamen 90 Minuten, dem Abgeben eines ärztliches Sportattests und dem
Unterzeichnen eines Dokumentes mit unbekanntem in Italienisch verfasstem Inhalt
waren wir endlich im Besitze unserer Startnummer und dem Transponder. Obendrein
gab es noch ein schönes Radtrikot, Sportfood und ein Massagegel.
Danach wurden mit Barbara Schweizer anhand ausgedruckter Karten, Reiseführer und
Marschtabelle in der Hotelbar die Verpflegungspunkte ausgemacht, an denen
geplant war, fliegend die Verpflegungsbeutel entgegen zu nehmen. Es waren dies
folgende Punkte, jeweils nach der entsprechenden Ortschaft auf der rechten
Strassenseite:
- Noviligure bei km 95
- Cogoleto bei km 167
- Finale Ligure bei km 210
- S. Lorenzo al Mare bei km 267
Trotz dieser zahlreichen eingeplanten Verpflegungspunkten zogen wir es vor, je
Rennrad zusätzlich hinter dem Sattel einen Doppel-Bidonhalter zu montieren, so
dass keine Halte an den offiziellen Verpflegungsposten eingelegt werden mussten
und dadurch Zeitverluste entstehen. Dass diese Doppel-Bidonhalter nicht für
Italiens Strassenbeläge tauglich sind, bewies uns das Renngeschehen schon nach
wenigen Kilometern (siehe Anschnitt Renntag).
Am Nachmittag absolvierten Michel Ritter und ich infolge des schlechten
Regenwetters eine kurze 1/4stündige Lockerungs-Einheit auf den Ergometern des
hoteleigenen Fittnessraumes. Meine Beine waren sehr locker und drehten die
Kurbeln mit 100 Umdrehungen mühelos, es kam erstmals ein kleines Rennfieber
auf...yeahhhhh. Darauf präparierten wir im Hotelzimmer unsere Fahrräder und
tätigten sonstige Rennvorbereitungen - Kette schmieren (:-), Riegel
und Gaspumpe auf Rahmen kleben, Startnummer befestigen, Bidons schon mit
Energy-Drink-Pulver füllen, Verpflegungsbeutel bereit stellen etc.
Schon fast als Ritual ging’s dann am Abend wieder in ein Restaurant im nahe
gelegenen Areal des Kinos. Der Wein blieb jedoch auch an diesem Abend nicht aus,
so auch die Pasta. So gegen 22.00 war dann Bettruhe angesagt, zuvor jedoch
lockerten wir unsere Beine mittels Massagecreme und Electrostimulator. Michel
Ritter "pflasterte" sich noch bis spät in die Nacht mit Brioche-Brötchen, Käse,
Oliven-Öl und Salz kleine Sandwichs, welche er seinen Verpflegungsbeuteln
beifügte. Ich hatte wiederum eine sehr unruhige Nacht und gesamthaft wohl nicht
mehr als 4 Stunden geschlafen! Hatte ich doch im Halbschlaf andauernd Stürze,
rasante gefährliche Abfahrten, Gerangel im Fahrerfeld etc. vor Augen.
Renntag Sonntag 5.6.2011
Infolge des schlechten Schlafes war ich sehr froh, dass uns der Wecker um 04.00
Uhr den Befehl gab, aufzustehen. Ein Blick zum Fenster raus liess zu dieser
Uhrzeit noch nicht erahnen, welch Wetter uns in 3 Stunden am Start erwarten
würde. Gegen 04.15 Uhr waren wir inkl. Barbara auch schon im Nebengebäude des
Hotels, wo das Frühstück eingenommen werden sollte. Wir waren als erstes da,
keine Menschenseele ausser dem Kellner waren zu sehen...respektive wir waren zu
früh da...ja, wir waren die ersten...wenn es doch nur am Ende des Tages nach den
295 km auch so wäre..:-))
Nach einer 10 minütigen Wartezeit wurde uns Einlass zum Speisesaal gewährt.
Pasta so früh am Morgen schmeckt einfach scheusslich, aber was soll’s, sie
erfüllen eben ihren Zweck. Michel und Barbara hielten sich eher an das brotige
mit den üblichen Aufstrichen, der Kaffee schmeckte wie immer: nach Kaffee.
Zurück im Zimmer gegen 05.00 Uhr wurden alle Utensilien, welche nicht mehr fürs
Rennen gebraucht wurden, verpackt und ins Auto gebracht. Ebenfalls wurden die
Ersatzlaufräder (je 2 VR und je 2 HR) mit 8 Bar gepumpt, in der Hoffnung, dass
diese trotzdem nicht zum Einsatz kommen werden.
Wieder zurück im Zimmer schmissen wir uns in Schale, besser gesagt ins
Radtrikot. Da am Vortag keine Vaseline im Einkaufscenter gefunden wurde um die
bekannten Scheuerstellen wie Innenoberschenkel zu behandeln/schützen, kam eine
Lippenpomade zum Einsatz. Dessen Anwendung sich übrigens während dem ganzen
Rennen als vorzüglich bestätigt hatte. Nach diversen anderen Vorbereitungen
standen wir dann "rennbereit" so gegen 06:20 vor unserem Hotel NH Milanofiori.
Geschätzt hatten zu dieser Zeit schon die ersten 150 Rennfahrer die
"Eingangs-Chip-Kontrolle" passiert und standen startbereit in optimaler
Ausgangs-Position hinter der Startlinie. Wir reihten uns gleich dahinter ein.
Der Startbereich befand sich unmittelbar vor unserem Hotel, welches sich in
einem Kongress- respektive Industriegebiet von Milano befindet. Je näher die
Uhrzeit gegen 07.00 Uhr ging, desto mehr erhöhte sich unsere Nervosität im
Quadrat.
Pünktlich kurz vor dem Start setzte dann auch der Regen ein, so sollte es auch
während gut 2/3 der Renndistanz bleiben, jedoch nur noch viel heftiger. Mit
italienischer Pünktlichkeit starte dann um 07.07 Uhr das Rennen.
Wenn ca. 1000 Rennradfahrer rennmässig eine enge kleine Quartierstrasse mit
etlichen Richtungsänderungen verlassen wollen, kommt dies ungewollt zu diversen
"Annäherungen" mit anderen Radlern. Wer es dann endlich bis zum ersten Kreisel
auf der grossen breiten Hauptstrasse geschafft hatte, war gleich mitten im
Renngeschehen, egal ob links- oder rechtsrum durch den Kreisel..:-)). Mit Tempo
40 km/h ging’s sofort zur Sache, Richtung Süden. Nichts war vom gemütlichen
Einrollen respektive vom gegenseitigen Beobachten. Zahlreiche Kreisel zierten
die ersten paar Kilometer, diese Kreisel wurden infolge des Regenwetters und der
damit verbundenen Rutschgefahr etwas vorsichtiger angefahren und vor allem auch
wortlaut durch vordere Fahrer im Feld angekündigt.
Nach nicht einmal 10 gefahrenen Renn-Kilometern verlor ich infolge des
teilweisen sehr löchrigen und holprigen Strassenbelages meine 2 Bidons, welche
aus dem Doppel-Bidonhalter hinter dem Sattel rauskatapultiert wurden. Michel
Ritter ärgerte sich nur kurze Zeit über die "anscheinend" schlechte Halterung
meines Doppel-Bidonhalters, denn ihm widerfuhr nur wenige Kilometer später
dasselbe. Diese Stelle glich mehr einem Schlachtfeld als einer Strasse, da lagen
bestimmt nicht weniger als 30 Bidons am Boden, teilweise auch zersplittert. So
verwunderte ich mich dann nicht, dass nur wenige Meter weiter zahlreiche
Rennfahrer mit Laufrädern in den Händen herum rannten, um diese entweder beim
Begleitfahrzeug zu tauschen oder um einen neuen Schlauch einzusetzen. Besonders
auffallend war, dass immer nach solchen Löchern in der Strasse mehrere Fahrer
Plattfuss hatten. Ich denke, wir sahen über das ganze Rennen weit mehr als 100
Fahrer am Strassenrand. Evtl. hat sich meine Vorbereitung mit dem Aufziehen
eines sehr Pannenresistenten Reifens ausbezahlt gemacht, oder wir hatten einfach
nur grosses Glück, dass wir pannenfrei in Sanremo ankamen. Solche Situation
waren immer sehr gefährlich, wollten doch die im Feld vor einem fahrenden
"Piloten" diesen plötzlich auftauchenden Bidons ausweichen. Etliche Male kam es
da zur Tuchfühlung respektive Rennrad- und Trikotfühlung. Die sehr schlechte
Sicht wegen des immer stärker werdenden bis sintflutartig einsetzenden Regens
machten diese Situationen zum Nervenkitzel. Noch vor unserem ausgemachten
Verpflegungspunkt, wo Barbara Schweizer unsere Verpflegungsbeutel übergeben
sollte, waren wir mit einem menschlichen Bedürfnis konfrontiert. Um dieses zu
lösen, standen genau 2 Varianten (schlecht und schlechter..:-)) zur Verfügung -
Variante "schlecht" > in die Hose laufen lassen ...Variante "schlechter" >
anhalten, Kontakt zum Feld verlieren. So entschieden wir uns dann für die
Variante schlecht, schliesslich wollten wir unser Ziel Sanremo mit einem 30er
Gesamtdurchschnitt erreichen und zudem wusch der mittlerweile sehr stark
prasselnde Regen die gelben Beweise binnen Sekunden in die riesengrossen Pfützen
auf Italiens Strassen...viva strada Italia!
Mit der Annäherung an unseren ausgemachten 1. Verpflegungspunkt bei Km 95 in
Noviligure, erhöhte sich auch das Tempo im Feld auf 45 km/h. Bei dieser
Geschwindigkeit, starkem Regen, in einem Feld und obendrein mit beschlagenen
Brillengläsern "fliegend" einen Verpflegungsbeutel angeln zu können, grenzt an
ein Wunder. Dieses Wunder war leider auch mir vergönnt, verpasste ich doch die
gestreckte Hand von Barbara um gut einen halben Meter. Michel einige Meter
hinter mir (war zur Übernahme der Verpflegung so ausgemacht) realisierte dies,
verlangsamte stark das Tempo und angelte beide Beutel. Es war für uns sehr
wichtig, dass wir diese Beutel hier doch noch erwischt haben, hatten wir doch
kurz nach dem Start jeweils unsere beiden Reserve-Getränke-Bidons verloren.
Diese Tempoverlangsamung hatte jedoch zur Folge, das wir in nicht einmal 20
Sekunden plötzlich 200-300 Meter hinter dem mit 45km/h davonbrausendem Feld
waren. Es galt, den Anschluss an dieses Feld auf keinen Fall zu verlieren, das
gefasste neue Bidon in den Halter und weg mit dem Beutel in den Strassengraben,
samt den Riegeln, Gels, Sandwich und Cola. Ein Verstauen dieser Sachen im Trikot
hätte einen weiteren Rückstand zum Feld mit sich gebracht. Mit einem ca. 10-15
minütigem Kraftakt kämpfte uns Michel Ritter wieder zurück in den schützenden
Windschatten des Feldes, dies noch bei starkem Gegenwind > BRAVO und DANKE
Michel, alleine hätte ich es nicht ins Feld zurück geschafft! Dieser Kraftakt
sollte sich jedoch später noch bemerkbar machen. Den ersten offiziellen
Verpflegungsposten am Passo Turchino in Campo Ligure bei km 135 haben wir
ausgelassen.
Hier trennten wir uns dann somit auch vom grossen Feld, da die meisten Fahrer
diesen Posten ansteuerten. Yeah, wir hatten somit auf einen Schlag ca. 150
Plätze vorerst gut gemacht. Der von dort aus immer noch währende 8 km lange
Anstieg kam uns länger und steiler vor, als wir das Tags zuvor aus dem
Rennprofil heraus interpretierten. Wir waren beide sehr erleichtert, als wir
endlich nach der Passhöhe die rasante Abfahrt Richtung Genua in Angriff nehmen
konnten. Zu allem Glück war ab der Passhöhe Sonne, viel Wärme (28 Grad und mehr
- zuvor waren es ca. 15 Grad auf den ersten 140 km) und vor allem trockene
Strasse angesagt, letzteres verringerte die Sturzgefahr bei der Abfahrt um
vieles! Wir konnten endlich unsere Regenjacken in den Trikottaschen verstauen
und unsere Radgenossen-Trikots unter Italiens Sonne aufblitzen lassen.
Unten in Genau Voltri angekommen, präsentierte sich das Rennen plötzlich von
einer ganz anderen Seite. Es herrschte Gegenwind aus Südwest, dies sollte auch
so bleiben bis zum Ziel. Auch gab es kein grösseres Fahrerfeld mehr, eher waren
es vereinzelte Gruppen von 3 bis zu 20 Fahrern, welche nur ein Ziel hatten >
Sanremo. Auch präsentierte sich die Verkehrssituation von einer ganz anderen
Seite. Wo die ersten 150 km mehr oder weniger auf dem Lande
resp. Nebenstrassen absolviert wurden, galt es nun, das Rennrad auf den letzten
150 km durch die Hauptstrassen der Orte zu steuern, welche der Küste entlang
verlaufen. Wer im Sommer hier Mal im Urlaub war kennt dieses Verkehrs-Situation
bestens > Staus vor Ampeln, Fussgänger die sorglos auf die Strasse laufen,
Vespas die links und rechts überholen, Busse die den Weg verstopfen und stinken
etc.. An keiner Ampel und keinem Stoppschild wurde angehalten, mal rechts und
mal links an stehenden Kolonnen vorbei, hier ein Fussgänger lauthals
angeschrieen der die Strasse überqueren wollte, da einem Autofahrer den Vogel
gezeigt etc...so präsentierte sich das Bild auf den letzten 150 km. Ich denke,
meine Verkehrs-Vergehen summierten sich sicher gegen 70-80 Stk. Aber was soll’s,
jeder andere Rennteilnehmer tat ja das gleiche. Ich denke, ein Vergleich mit
diesen doch sehr gefährlichen Situationen und Russisch-Roulette ist nicht so
abwegig. So wundert es mich doch sehr, hatte ich persönlich keinen Rennunfall
gesehen. Ich hatte jedoch von einigen wenigen Unfällen gehört respektive im
Hotel eine Person mit gebrochener Schulter gesehen. Wie und wo es zu den
jeweiligen Unfällen kam, kann ich glücklicherweise nicht sagen. Ein Ortskundiger
der die Strecke Genua-Sanremo entlang der Küstenstrasse schon einmal gefahren
ist weiss, dass sehr oft nach einer Ortschaft eine Ansteigung kommt, bei welcher
die Klippen bis zur nächsten Ortschaft umfahren werden müssen. Diese immer
wiederkehrenden Steigungen haben es vor allem dann in sich, wenn man schon
angesäuert in diese Steigungen fährt. Die bei km 95 getätigte Aufholjagd um
zurück ins Fahrerfeld zu gelangen, zeigte seine Spuren. Immer wieder mussten wir
bei diesen Steigungen Fahrer oder kl. Felder ziehen lassen und alleine gegen den
Wind Richtung Sanremo kämpfen. Hatten wir doch unten bei Genua Voltri noch einen
Gesamtdurchschnitt von 35km/h, sahen wir diesen mit zunehmender Renndistanz
immer mehr schwinden.
Bei km 167 in Cogoleto wartete Barbara wieder mit den ersehnten
Verpflegungsbeuteln auf uns. Leider gelang es wiederum nicht, diese "fliegend"
entgegen zu nehmen. Einer der Beutel verteilte sich quer über den Asphalt, dabei
hatte ich noch grosses Glück, dass ich nur sehr knapp einen Bidon ausweichen
konnte. Da wir zu diesem Zeitpunkt dringend auf Flüssigkeit angewiesen waren,
entschlossen wir uns für einen Blitzhalt > Bidon nehmen, Riegel und Gels nehmen
und die Regenjacke sowie leere Bidons vor Barbaras Füsse werfen....das ganze
dauerte nicht mal 30 Sekunden und wir waren wieder inmitten des Renngeschehens.
Da wir hier auf diesem Streckenabschnitt teilweise sowieso auf uns alleine oder
viele kleinere Gruppen resp. Fahrerfelder angewiesen waren, fiel dieser
Blitzhalt nicht so sehr ins Gewicht. Da sich diese Methode zur Getränkeaufnahme
schon fast bewährt hatte, entschlossen wir uns auch bei km 210 in Finale Ligure,
einige Sekunden bei Barbara anzuhalten. Bei km 247 in Capo Cervo wurde
beschlossen noch beim letzten offiziellen Posten des Veranstalters UCSANREMO für
einige Sekunden anzuhalten. Eigentlich hatte ich dort nach Wasser für mein Bidon
verlangt, bekam aber irgendein isotonisches wohl mit Salz angereichertes
Getränk. Der dortige "Ausschankmeister" hatte auf alle Fälle immer von "Sali"..."Sali"..
gesprochen. Gut, Salz konnte ich mittlerweile wohl auch gebrauchen, hatte ich
doch bei den letzten 2 Ansteigungen jeweils Anzeichen eintretender Krämpfe an
den Innenoberschenkeln. Diese Anzeichen respektive eintretenden Krämpfe
verschwanden jedoch immer sehr schnell, als ich aus dem Sattel ging und im
Wiegetritt die Anhöhe erklimmte.
Pünktlich auf den letzten 35 km setzte dann auch wieder der Regen besser gesagt
fast die Sintflut ein. Da wir zuvor bei Barbara noch bei Sonnenschein unsere
Regenjacken abgeliefert hatten, waren wir nun dem Regen schutzlos ausgesetzt.
Teilweise waren die Niederschläge derart heftig, dass Beine und Arme infolge der
stetigen Bombardierung durch die Regentropfen schmerzten. Im Aufstieg zum
Cipressa wurden wir dann so richtig "angefeuert" (erstmals auf der ganzen
Strecke..:-)), dies mit tosendem Applaus > viele nahe Blitzeinschläge, lauter
Donner und starker Gegenwind begleiteten uns auf dem Weg zur zweitletzten
Anhöhe, dem Cipressa. Ich war mir nicht ganz sicher, welches das optimale Wetter
gewesen wäre, um diesen Hausberg zu bezwingen. Bei Sonnenschein und mehr als 30
Grad hätten wir bestimmt auch gelitten. Eines war ich mir jedoch bewusst, meine
Bremsen griffen sehr schlecht bis gar nicht bei dieser Nässe. So schlichen wir
dann in sehr langsamen Tempo wieder runter um nicht noch kurz vor dem Ziel einen
Unfall/Sturz zu riskieren. Unten heil angekommen, fühlte ich mich fast wie neu
geboren und war so was von beflügelt, dem Ziel schon so nahe zu sein. Allem
Hundewetter zum trotz drehten meine Beine, als hätten sie noch keinen einzigen
der bereits zurückgelegten 276 Kilometer absolviert. Gegenwind, Regen, Gewitter,
riesengrosse Pfützen, Bäche die die Strassen entlang kamen, all dies konnte mir
nichts mehr anhaben. So führte ich vor Michel in enormen Tempo eine kleinere
Gruppe Richtung Abzweigung zum Poggio...ich fühlte mich so stark wie noch nie,
ja, ich war im Rennfieber. Kurz vor der Abzweigung zum Poggio bestätigte ein
Blick zurück mein Gefühl, nur noch Michel Ritter konnte diesem Tempo
mithalten...yeahhhhhh, viva strade bagnata Italia, viva fulmine, viva pioggia,
viva MILANO-SANREMO...
Den letzten 3,5 km langen Anstieg zum Poggio genossen Michel und ich bei eher
gemächlichem Tempo. Mir kam das ganze Rennen nicht so lang vor, wie ich mir das
in meinen "Ängsten" vorgestellt hatte. War ich doch erst gerade in Milano
gestartet und jetzt befand ich mich schon in der letzten Steigung, fast war ich
schon wehmütig, dass schon in wenigen Kilometern alles vorbei sein würde. Auch
die Abfahrt vom Poggio wurde infolge der sehr nassen Strassen und der damit
verbundenen Sturzgefahr und meinen nicht greifenden Bremsen im Schneckentempo
zurückgelegt. Auf den letzten 500 m vor der Zieleinfahrt wurde ich dann noch
Opfer meiner Gefühle selbst, legte meinen Arm auf Michels Schulter, gratulierte
Ihm zu seiner Leistung und seinem Effort bei km 95, dabei konnte ich es nicht
verklemmen, eine Freudenträne, welche im prasselnden Regen unterging, zu
vergiessen. So gross war die Erleichterung, es überhaupt geschafft zu haben und
dies erst noch innerhalb unserer gesetzten Zielsetzung. Wir erreichten Sanremo
nach 295 km und 1800 Höhenmetern in 9 Stunden und 42 Minuten mit einem
Gesamtschnitt von 30,4 km/h. Ebenso kühl wie das Wetter war auch der Empfang im
Ziel. Keine Musik die da spielt, keine Bandenwerbung, keine Ehrendame, keine Sitzbänke
respektive Wurststände wo sich eventuelle Zuschauer hätten verpflegen können, "nur" unsere Begleitwagenfahrerin Barbara wartete im strömenden Regen auf uns. Nur ganz kurz
gönnten wir uns eine Portion Pasta im Gebäude, wo die Preisverleihung statt
fand. Wir wollten nur noch eins, so schnell wie möglich ins Hotel unter die
warme Dusche. Statt die Räder aufs Autodach zu laden, meisterten wir diese
letzten 3 km und 70 Höhenmeter bis zum Hotel auch noch per Rad.
Am Abend dann genossen wir in Sanremo am Hafen unser wohlverdientes Abendessen,
dabei wurden das Rennen und die neuralgischen Punkte nochmals durchgegangen.
Tags darauf auf dem Rückweg hielten wir noch für 4 Stunden Badeaufenthalt in
Alassio. Es herrschte Sonne pur und sogar das Meer war recht warm, somit wurden
wir wenigstens ein wenig für den Vortag entschädigt.
Meine Gedanken, Erfahrungen und Tipps abschliessend zu diesem Rennen
Ich hätte nie gedacht, dass eine 10-20 sekündige Tempoverlangsamung eine
Kräfteraubende Aufholjagd von 15 Minuten mit sich bringt, um wieder zurück ins
Feld zu gelangen. Aus dieser Erkenntnis hinaus wäre es wohl besser gewesen,
Verpflegung direkt aus dem fahrenden Begleitauto zu beziehen, welches wirklich
direkt hinter respektive im Feld fährt. Auch wäre so im Falle eines Defektes die
verlorene Zeit wohl am geringsten. Was nützen Ersatzräder und Werkzeug im Auto,
wenn dieses kilometerweit vom Fahrer entfernt ist. Auch hier hatten wir einfach
nichts anderes als Glück, dass wir nicht auf dieses
Ersatzmaterial zurückgreifen mussten.
Thema Verpflegung
Ich habe mich durch das ganze Rennen hindurch nur mit Sportnahrung des
Herstellers Sponser verpflegt. Dabei beachtete ich, dass ich pro Rennstunde
mindestens 1 Bidon 750ml Energy Isotonic und 1 Energy Riegel oder 1 Enegry Gel
konsumierte. Zu keiner Zeit hatte ich Magenprobleme oder gar das Gefühl, in
einen Hungerast zu geraten. Einzige Ausnahme war das Getränk am letzten
offiziellen Verpflegungsposten.
Thema Bidonhalter
Ein breites Scotch-Band hätte den Verlust der Bidons 3 & 4 sicherlich
verhindert...kleines Band, grosse Wirkung
Fazit
Es war einfach nur geil! Milano-Sanremo, ich komme nächstes Jahr wieder, jedoch
mit einem anderen Ziel: Schnitt > 33km/h
Dabei hoffe ich sehr, dass in Punkto Sicherheit resp. Verkehrslenkung auf dem
Abschnitt Genua > Sanremo einige Verbesserungen
gemacht werden. Es war einfach nur grosses Glück, diesen Streckenabschnitt
unfallfrei überstanden zu haben.
Die entstandenen Zeitverluste infolge obiger aufgeführten Gründe und des
schlechten Wetters wegen lassen mich doch sehr hoffen,
dass ich nächstens Jahr dieses Rennen mit einem Gesamtdurchschnitt von über 33
km/h absolvieren kann.
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